Wenn die Medien das Thema Ernährung aufgreifen, dann kommt selten etwas Vernünftiges dabei heraus.
Und so verwundert es nicht, dass bei der am Freitag, den 27.02.2015 von Arte ausgestrahlten Dokumentation „Zucker oder Fett: Was schadet mehr?“ einige Dinge zweifelhaft sind.
Wie letzte Woche Norbert von Paleo Leben in seinem Artikel Wenn die Presse über Paleo schreibt — kann’s nur schiefgehen bemerkte, sind die Massenmedien eher damit beschäftigt, mehr Leser, Zuschauer oder Klicks zu bekommen, als den Dingen auf den Grund zu gehen.
Das Ziel treibt das Produkt, daher ist die heutige Medienlandschaft von Sensationen, oberflächlichen Themen und Extremen geprägt. Das bringt Klicks, keine Wahrheit.
Zurück zur Sendung:
Im Ring: Kein Zucker vs. Kein Fett
Auch wenn die Arte-Dokumentation „Zucker oder Fett: Was schadet mehr?“ heißt und herausfinden will, ob Zucker oder Fett schädlicher für die Gesundheit ist, wird eigentlich etwas ganz anderes getestet: Die beiden Probanden (Zwillinge, um eine neutrale Grundlage zu haben) testeten nämlich eine „gar keine Kohlenhydrate“-Diät gegen eine „gar kein Fett“-Diät – zwei Extreme, die in der Praxis kaum für längere Zeit haltbar sein dürften.
Beide Probanden sind Ärzte, spezialisiert auf Infektionskrankheiten bzw. Tropenmedizin. Da sie selber keine Ernährungs-Experten sind, ziehen sie eine britische Ernährungsberaterin hinzu.
Leider bringt das eine subtile und verhängnisvolle Verzerrung in das Experiment: Die Ernährungs-Expertin Amanda Ursell ist Mitglied der britischen Gesellschaft für Ernährungsberater und sie vertritt auf ihrer Homepage die gleiche Linie wie die meisten Ernährungsberater der DGE, der USA und anderer westlicher Zivilisationen: Eine „ausgewogene“ Ernährung mit reichlich Kohlenhydraten und weniger Fett. In ihrer „Portfolio Diet“ vertritt sie die (inzwischen längst überholte) Meinung, dass man gesättigtes Fett und Cholesterin in der Nahrung meiden solle, um Cholesterin im Blut entgegenzuwirken.
Keine neutrale Schiedsrichterin.
Die Ergebnisse
Extremismen sind wenig hilfreich und eine parteiische Schiedsrichterin ist keine große Hilfe, die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu genießen:
- Der High-Fat-Proband verliert deutlich mehr Körperfett als der High-Carb-Proband (1,5 kg vs. 0,5 kg, beide waren vorher schlank).
Soweit so gut, doch der Arzt behauptet, dass Mr. High-Fat Muskelmasse verloren hätte. Wo ist der Beleg? Der durchgeführte Test unterscheidet nicht zwischen Wasser und magerer Körpermasse und es ist lange bekannt, dass Glykogen (die körpereigene Speicher-Form von Kohlenhydraten) Wasser bindet – ein Effekt der durchaus 1–2 Kilo ausmachen kann.
Das kann jeder am eigenen Leib nachvollziehen: wenn man sich 1 Woche von vielen Kohlenhydraten ernährt und sich dann die nächste Woche nach Low-Carb ernährt, zeigt die Waage ein paar Pfund weniger an. So schnell baut niemand Muskelmasse ab.
Es kommt natürlich vor, dass bei unzureichender Proteinaufnahme und bei mangelnden Kohlenhydraten körpereigenes Protein zu Glucose umgewandelt wird, jedoch betrachtet der Körper den Abbau von Muskelmasse als eine reine Notmaßnahme. Freiwillig baut kein Körper Muskelmasse ab, wenn der Mensch sie aktiv nutzt. Vorher versucht es ein gesunder Körper mit mehr Hunger auf Proteine und mit dem Abbau überflüssiger Proteine aus kranken Zellen (was etwas Gutes ist und regelmäßig beim Fasten geschieht, siehe: Ketose*). - Verwirrend ist das Urteil zur Insulinsensitivität: Der High-Carb-Proband produzierte nach seiner Kohlenhydrat-reichen Diät mehr Insulin als vorher. Das ist logisch, denn er hat seinen Körper 30 Tage lang darauf getrimmt, häufig Insulin auszuschütten, um die hohe Menge Blutzucker aus der Verdauung seiner Nahrung zu verkraften. Ihm wird gesagt, dass das langfristig keine gute Sache sei, was (entgegen seiner Reaktion) keine Überraschung sein sollte.
Mr. High Fat dagegen produziert weniger Insulin und soll mit einem Wert von 5,9 mmol/L Nüchtern-Blutzucker kurz vor der Vorstufe zur Prä-Diabetes sein? Das ist aus mindestens 3 Gründen Humbug:- 5,9 ist ein normaler Wert (alles unter 6,1 mmol/L Nüchtern-Blutzucker ist unumstritten ein normaler Wert).
- Es ist normal, dass der Blutzucker-Wert schwankt, ein Vergleich von 5,1 vor dem Test mit 5,9 nach dem Test sagt nichts aus.
- Die Insulin-Produktion des Kandidaten ist nach 30 Tagen Kohlenhydrat-Verzicht genau deswegen zurückhaltend, weil sein Körper seinen knappen Blutzuckerhaushalt schützen will. Das ist völlig normal: Wo kein Blutzucker-Überschuß ist, darf man keine Insulin-Massen erwarten.
- Der sportliche Leistungs-Test ist für den fettreichen No-Carb-Teilnehmer nicht gut gelaufen. Der Grund ist meiner Meinung nach der, dass ein (durch die „normale“ Ernährung) eher auf Kohlenhydrate-Verbrennung getrimmter Körper mehr als 30 Tage braucht, um seinen Metabolismus auf leistungsfähige Fettverbrennung umzustellen. Dazu sollte man jemanden Fragen, der was davon versteht, z. B. Dr. Peter Attia, der Fettverbrennung im Leistungssport zur Kunstform erhoben hat – und dennoch moderat Kohlenhydrate zufüttert. Oder Sascha Fast, der sich neulich mit mir darüber unterhielt: Paleo-Talk mit Sascha Fast über Metabolische Flexibilität.
- Der mentale Test ist ein Witz: Spekulieren an der Börse für kurze Zeiträume ist pures Glücksspiel. Außerdem hat der High-Fat-Kandidat zumindest in der ersten Hälfte die typischen Symptome von Kohlenhydrat-Entzug zu spüren bekommen, die sich aufgrund von Mineralienknappheit durch den Flüssigkeits-Abbau in Kopfschmerzen äußern (siehe: Paleo-Ernährung: Tipps für Einsteiger).
Fazit: Extrem-Studien sind für die Praxis unbrauchbar
Das Fazit der Sendung ist am Ende: Weder Zucker noch Fett sind für sich „böse“, die Kombination macht’s.
Wahr ist tatsächlich: Wer Fett mit Kohlenhydraten kombiniert, schüttet Insulin aus und als „Speicherhormon“ transportiert es sowohl überschüssige Kohlenhydrate als auch Fett in die Zellen.
Dieses Fazit kann jedoch nicht aus den Ergebnissen der Probanden abgeleitet werden, denn die haben ja genau das Gegenteil getestet: Fett oder Kohlenhydrate!
Für mich ist das Fazit: Extreme zu testen ist sicher interessant, birgt aber die Gefahr, dass man falsche Schlussfolgerungen zieht. Vor allem, wenn man mit den konventionellen Maßstäben einer linientreuen Ernährungsberatung arbeitet.
Die Paleo-Ernährung: Weder extrem Fett- noch extrem Kohlenhydrat-lastig
Und da mich ein Leser besorgt auf den o. a. Film hingewiesen hatte: Das alles hat mit der Paleo-Ernährung nur wenig zu tun:
Die Paleo-Ernährung ist keine Low-Carb und schon gar keine No-Carb-Ernährung.
Der Urmensch aß und viele Naturvölker essen neben tierischen Nahrungsmitteln Beeren, Obst und Gemüse, was dem High-Fat-Teilnehmer explizit verboten wurde.
Die Paleo-Ernährung führt auf natürlichem Wege zu weniger Kohlenhydrate als bei normaler Ernährung, eine gesunde Menge von Kohlenhydraten ist dagegen nicht Null, sondern liegt eher bei um die 100 Gramm pro Tag. Siehe: Kohlenhydrate: Was ist die richtige Menge? Und: Was ist der Unterschied zwischen Paleo und Low-Carb?
Ketose, also ein Körperzustand, bei dem der Körper kaum Kohlenhydrate bekommt und daher anfängt, Eiweiß zu Glucose abzubauen ist für kurze Zeit ein sehr nützlicher Zustand (siehe: Ketose: Wie der Körper durch Fasten Krebs und Krankheiten heilt), da der Körper dies zum Anlass nimmt, „Altlasten“ wie kranke Zellen und Krankheitserreger abzubauen. Langfristige Ketose kann für viele Menschen problematisch sein.
Habt Ihr aufgepasst? Die Ernährungsberaterin hat am Anfang dem High-Fat-Kandidaten vorausgesagt, dass er von seiner Ernährung Mundgeruch bekommen würde. Sie hat auch explizit darauf hingewiesen, dass er kein Gemüse essen darf. Das führt zu Ketose und dazu, dass der Körper Keton-Körper über den Atem ausscheidet, daher der Mundgeruch. Das hat die „Beraterin“ gewusst – und damit den Kandidaten ins offene Messer laufen lassen: Wer langfristigen Kohlenhydrat-Entzug nicht gewohnt ist, kommt nicht mit 30 Tagen Dauerketose klar.
Viel besser als langfristige Ketose ist das Intermittierende Fasten.
Übrigens: Die Dokumentation wurde ursprünglich von der britischen BBC produziert und ausgestrahlt. Arte hat sie offenbar dort eingekauft. Zur ursprünglichen Version hat der Mediziner Dr. Andreas Eenfeldt (Autor von: Köstliche Revolution) seine eigene Kurz-Analyse hier geschrieben: Sugar vs Fat on BBC: Which is Worse? Lesenswert.
Schade eigentlich. Denn die Briten haben viel bessere Ernährungs-Beiträge hervorgebracht, wie z. B. diese Studie, die vergoldet und an die Wand gehängt gehört (vielen Dank an Robert Bock fürs Finden): The cardiometabolic consequences of replacing saturated fats with carbohydrates or Ω-6 polyunsaturated fats: Do the dietary guidelines have it wrong? (Volltext).
Das sollte für jeden Ernährungsberater Pflichtlektüre sein!
Und um die Journalisten in Schutz zu nehmen: Es gibt sie, die guten Journalisten. Einige davon schreiben über Ernährung, wie z. B. Gary Taubes (der vor seiner Presse-Karriere Physik studierte) und Nina Teicholz (eine studierte Biologin).
Wer wissen will, was wirklich stimmt, sollte gut recherchieren, selber testen und am besten Schritt für Schritt mit sorgfältigen Selbstexperimenten die eigene Wahrheit finden.
Buchtipps
Update (04.03.2015): Leo Tulipan von Leichter gesund leben hat inzwischen seine eigene, detaillierte Kritik veröffentlicht: Zucker oder Fett: Was schadet mehr?
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Von Constantin Gonzalez am 01.03.2015, aktualisiert: 19.12.2016 in Grundlagen.
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