Für die meisten Menschen ist das Leben etwas Magisches.
Doch wenn man genau hinguckt, neueste Technologien einsetzt und aus Daten rekonstruiert, wie das Leben auf molekularer Ebene wirklich funktioniert, offenbart sich eine faszinierende Welt, die eine frappierende Ähnlichkeit mit Maschinen, Robotern und Technik hat.
Denn das Leben besteht in Wirklichkeit aus Maschinen. Vielen winzig kleinen, molekularen Maschinen.
Ist das Leben dadurch weniger magisch?
Wenn man sich mit Ernährung, Stoffwechsel, Medizin oder Biochemie beschäftigt, dann ist schnell die Rede von Fetten, Kohlenhydraten und Proteinen. Oder Mineralien, Vitaminen, Mikronährstoffen oder Enzymen.
All das sind Stoffe, mit denen wir täglich „zu tun“ haben: Wir essen sie, achten auf sie, recherchieren sie, lernen über sie oder schlicht: wir konsumieren sie.
Die Wenigsten wissen, wie genau diese Stoffe auf den menschlichen Körper wirken. Selbst Ärzte, Ernährungsberater und andere Wissenschaftler haben nur eine vage Vorstellung davon, was genau im menschlichen Körper vorgeht. Und mit „genau“ meine ich: Schritt für Schritt.
Sicher: Es gibt chemische Formeln und Gleichungen, die Ursache und Wirkung beschreiben, statistische Tabellen und vielleicht Kurven oder Zeichnungen. Doch auch das ist sehr abstrakt und angesichts der komplexen Vorgänge im Körper nur eine sehr grobe Vorstellung von dem, was das Leben wirklich ausmacht.
Drew Berry: Biomedizinischer Animator
Der australische Wissenschaftler Drew Berry (ohne „moore“ und mit „e“) war während seines Studiums frustriert darüber, wie trocken die Biochemie-Vorlesungen waren, die er besuchte: Er verstand kaum etwas. Und das trotz seiner wissenschaftlichen Ausbildung.
Er fragte sich, ob es nicht einen Weg gäbe, die biochemischen Vorgänge in unserem Körper anschaulicher zu gestalten, vielleicht indem man moderne 3D-Animationstechniken dafür benutzt? Diese Idee faszinierte ihn so sehr, dass er ihr seine Arbeit widmete.
Heute leitet er WEHI.TV, ein Produktionsstudio für biomedizinische Animationen am Walter + Eliza Hall Institut für medizinische Forschung in Melbourne, Australien.
Hier ist ein Video-Vortrag über seine Arbeit:
(Unten rechts auf die Sprechblase klicken, um deutsche Untertitel zu bekommen.)
Das, was man in Drew Berrys Videos sieht, geschieht jede Sekunde Milliardenfach in den Zellen unserer Körper, das ganze Leben lang.
Die Animationen basieren auf elektronenmikroskopischen Messungen von Molekülen „bei der Arbeit“ und zeigen wissenschaftlich korrekt und im Detail, wie biologische Vorgänge genau funktionieren.
(Die Farben sind natürlich erfunden: In diesen winzigen Dimensionen ist die Wellenlänge des Lichtes so groß, dass es keine Farben gibt. Mit Licht kann man keine Filmaufnahmen in dieser Vergrößerung machen, sondern man braucht dafür Elektronen, die viel kleiner als Lichtwellen sind.)
Der Vergleich mit mechanischen Industrierobotern drängt sich auf und tatsächlich sind biochemische Reaktionen nichts anderes als winzig kleine elektro-chemisch-mechanische Vorgänge: Molekülbindungen werden zu Drehachsen, elektrisch geladene Ionen ziehen sich an oder stoßen sich ab und führen zu Bewegung. Wenn die Natur solche Bausteine geschickt anordnet, ergeben sich winzige Gelenke, Motoren, selbst organisierende Systeme, Bauteile, Funktionsgruppen, Fließbänder, Produktionsstraßen und ganze Welten voller automatisch arbeitender Nano-Maschinen, die das Leben ausmachen.
Proteine: Die Bausteine natürlicher Nanomaschinen
Die Bausteine dieser winzigen Bio-Maschinen sind fast ausschließlich Proteine. Proteine sind Ketten von Aminosäuren. Pflanzen, Tiere, Pilze und viele Einzeller verwenden nur 22 verschiedene Aminosäuren, um alle ihre Proteine aufzubauen.
Das Wort „aufzubauen“ kann man durchaus wörtlich nehmen: Die DNA im Zellkern funktioniert wie ein Lochstreifen in antiken Computern. Im Video sieht man z. B. sehr schön, wie der DNA-„Lochstreifen“ bei der Zellteilung kopiert wird. Wenn die Zelle Proteine „baut“, dann kopiert sie zunächst Teile der DNA in eine sogenannte mRNA, die als temporäre Bauanleitung dient, und schickt sie anschließend zu kleinen Fabriken in der Zelle, den Ribosomen. Ähnlich wie ein Lochstreifen-Lesegerät „lesen“ die Ribosomen die mRNA, indem sie entlang des mRNA-Strangs wandern und die zu den jeweiligen mRNA-Wörtern passenden Aminosäuren aneinander ketten.
Das besondere an den Aminosäuren ist:
- Man kann beliebig viele von ihnen aneinander reihen, wie Perlen an einer Schnur.
- Jede Aminosäure hat eine andere Form und andere elektrochemische Eigenschaften.
Das bedeutet: Teile der Aminosäuren-Ketten ziehen sich an, andere stoßen sich ab. Je nach Reihenfolge von Aminosäuren in der Kette fangen bestimmte Teile der Kette an, sich zusammenzufalten, oder sie klappen auseinander. Dieser Vorgang heißt Proteinfaltung und gibt jedem Protein, allein durch die Reihenfolge seiner Aminosäuren bestimmt eine ganz individuelle dreidimensionale Form.
Deswegen sind Proteine die Bausteine des Lebens: Denn sie können nahezu beliebige Formen annehmen, und durch DNA-Codierung kann die Zelle wie in einer Fabrik beliebig viele dieser Bausteine mit ganz speziellen Formen herstellen, die sich dann von alleine (evtl. mit Hilfe weiterer Proteine, den Enzymen, die in diesem Fall wie Werkzeuge funktionieren) zu kleinen biochemischen Maschinen zusammensetzen.
Was hat das mit Ernährung zu tun? Ganz einfach: Wenn wir genug Proteine essen und in der richtigen Zusammensetzung, dann finden die Zellen ihre 22 Aminosäuren problemlos und die Proteinsynthese funktioniert reibungslos.
Wir wachsen, gedeihen, heilen und leben.
Mangelt es jedoch an Proteinen in ausreichender Qualität und Menge, verlangsamen sich diese Vorgänge oder es fehlen wichtige Bausteine: Das Leben läuft zwar weiter, aber mit „angezogener Handbremse“.
(Mir ist bewusst, dass das eine grobe Vereinfachung ist, aber wir wollen diesen Artikel nicht zu lang werden lassen, gell?)
Kohlenhydrate, Fette, Mineralien etc. sind auch wichtig für das Leben, aber es sind allein die Proteine, die die komplexen Vorgänge möglich machen, die wir „Leben“ nennen. Alles andere sind lediglich Hilfsstoffe.
Und weil es so schön war, gibt es noch mehr Science-Porn aus dem Innenleben einer Zelle:
Hier kam sogar unser alter Freund das Cholesterin vor. Ohne Cholesterin können die Zellwände im Körper gar nicht richtig funktionieren! Aber das ist Stoff für andere Artikel.
Habt Ihr in der zweiten Hälfte des Videos (5:35) das laufende „Männchen-Protein“ gesehen? Es heißt Kinesin und ist ein winziger Motor, der Proteine in der Zelle von einem Ort zum anderen transportiert. Das Hoogenraad Labor für Zellbiologie an der Universität von Utrecht hat unserem niedlichen, zweibeinigem Freund ein ganzes Video gewidmet:
Können wir auch so etwas „bauen“?
Die Frage ist naheliegend: Wenn die Natur aus Aminosäuren winzige Maschinen bauen kann, die sinnvolle Tätigkeiten ausführen, könnten wir Menschen nicht auch solche Maschinen bauen?
Der amerikanische Physiker Richard Feynman (wir lernten ihn schon im Artikel über Ich-Forscher kennen) argumentierte schon 1959 in seinem wegweisenden Vortrag „There’s Plenty of Room at the Bottom“ („Es gibt viel Platz da unten“), dass es noch viele Möglichkeiten gibt, Technologie auf mikroskopischer Ebene zu erfinden.
Die Antwort ist also: Ja, das geht.
In nicht allzu langer Zeit wird der Mensch kleine Roboter bauen, die Tumorzellen zerstören, beschädigte Zellen reparieren, Blutgefäße reinigen oder unsere Fähigkeiten als Mensch verbessern werden. Sie werden sich in die Zellvorgänge, die wir oben gesehen haben einschleusen und mit den Zellmechanismen zusammenarbeiten, diese ergänzen oder übertreffen.
Das ist keine Science-Fiction: An den theoretischen Grundlagen dafür haben Ingenieure und Wissenschaftler längst gearbeitet. In meinem Bücherregal befindet sich eine Ausgabe von Nanosystems P: Molecular Machinery, Manufacturing, and Computation*, vom Autor signiert, mit detaillierten Berechnungen, Entwürfen und Zeichnungen für molekulare Bausteine für Nano-Maschinen. Dieses Buch erinnert mich immer wieder daran, dass die meisten von uns so eine Zukunft in wenigen Jahrzehnten sehen werden.
Das folgende Video zeigt, wie so eine Zukunft aussehen kann. Auch hier ist alles wissenschaftlich korrekt und maßstabsgetreu dargestellt:
Die Darstellung ist vielleicht etwas grob und unästhetisch, aber ich bin davon überzeugt, dass die wirkliche Zukunft viel spannender sein wird und dass wir uns heute kaum vorstellen können, wie die Welt einmal aussehen wird, wenn der Mensch seine Kreativität und Kunst im Mikrokosmos auslebt.
Für die, die einen Vorgeschmack auf diese Zukunft haben möchten, habe ich unten ein paar Buchtipps zusammengestellt.
Was hat das mit Paleo zu tun?
Nun, beim Thema Paleo geht es um Evolution und der nächste Evolutions-Schritt für den Menschen wird nicht biologisch sein:
Evolution ist Anpassung an die Umwelt und je mehr der Mensch lernt, seine Umwelt über Technologie zu beeinflussen, desto mehr wird er sich seiner selbst-modifizierten Umwelt anpassen. Da die Geschwindigkeit der Entwicklung neuer Technologien immer mehr zunimmt und längst die Geschwindigkeit biologischer Evolution überholt hat, ergibt es Sinn, anzunehmen, dass der nächste Evolutions-Schritt des Menschen ein technologischer sein wird.
Auch wenn wir das Leben immer weiter entschlüsseln, die Magie bleibt.
Buchtipps
*: Amazon Affiliate-Link: Kauf’ Dich schlank und unterstütze dabei Paleosophie mit einer kleinen Prämie. Wir beide gewinnen!
Von Constantin Gonzalez am 18.10.2015, aktualisiert: 14.02.2020 in Allgemein.
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