Chia-Samen sind „in“ und werden gerne in der Werbung als „Superfood“ verkauft.
Auch manche Paleo-Blogs sind auf den Chia-Zug aufgesprungen und haben Rezepte mit Chia-Samen veröffentlicht.
Ist Chia wirklich ein sinnvolles Nahrungsmittel? Oder eher Vogelfutter mit Marketing-Hype?
Mit Chia-Samen sind in der Regel die Samen der Salvia Hispanica oder auch Mexikanischen Chia-Pflanze gemeint. Diese Pflanze kommt – Überraschung – aus Mexiko und sie wäre auch dort geblieben, wenn findige Importeure nicht das Geschäft mit ihren winzigen Samen gewittert hätten.
Je nach Hersteller, werden verschiedene Eigenschaften von Chia-Samen besonders beworben, die die Mini-Samen als „Superfood“ auszeichnen sollen. Zwar sind Samen grundsätzlich in der Paleo-Ernährung kein No-Go, aber sie sollten auch keinen prominenten Platz einnehmen: Ein Teelöffel Samen als Dekoration auf den Salat ist sicher ganz nett, aber aus verschiedenen Gründen sollten Samen keine Hauptzutat sein – und das gilt besonders auch für Chia.
Schauen wir uns also Punkt für Punkt die „Vorteile“ von Chia-Samen an und fragen dann, ob das stimmt:
Proteingehalt
Chia-Samen enthalten über 16 % Proteine und werden daher gerne als Proteinlieferanten verkauft.
Der Proteingehalt mag zwar höher als z. B. der von Getreide (ca. 10 %) sein, aber mit ein wenig Recherche findet man schnell bessere Alternativen: Sesam-Samen liefern knapp 18 % Proteine, Cashewnüsse etwas mehr als 18 % und Mandeln liegen sogar bei 21 %.
Wegen der Proteine ist der Hype also nicht gerechtfertigt. Wie sieht es mit Fett aus?
Omega-3 ist nicht gleich Omega-3
Ganz oben auf der Chia-Hype-Liste ist der Omega-3-Gehalt: Über 17 % Omega-3 ist in den Körnern drin.
Die meisten Menschen wissen, dass die mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren aus verschiedenen Gründen für den menschlichen Körper sehr wichtig sind, aber leider ist die Lage hier auch nicht so einfach:
- Viel Omega-3 hilft nicht viel: Wie alle essenziellen Fettsäuren werden auch Omega-3-Fettsäuren schnell ranzig und daher müssen sie mit Vorsicht genossen werden. Der Körper braucht sie nur in kleinen Mengen. Zuviel ungesättigte Fettsäuren sind eher eine Belastung.
- Das Verhältnis zu Omega-6 zählt: Denn Omega-6-Fettsäuren konkurrieren mit Omega-3 um die gleichen biochemischen Pfade im Körper. Omega-6 ist mehr als reichlich in Geflügel, Schweinefleisch, Fleisch von Tieren, die viel mit Getreide gefüttert wurden und in den meisten Pflanzenölen vorhanden, da fällt es Otto Normalverbrauchern schwer, einen Ausgleich mit Omega-3 herzustellen. Erschwerend kommt hinzu:
- Omega-3 aus Pflanzen ist für Menschen kaum nutzbar: Und hier ist der Spielverderber in der Chia-Party. Denn das Omega-3 in Chia-Samen ist (wie z. B. bei Leinsamen und allen anderen pflanzlichen Omega-3-Quellen auch) ausschließlich in der ALA-Form vorhanden. Und diese muss der menschliche Körper erst noch in die eigentlich nützliche DHA- und EPA-Form umwandeln. Das ist leider ineffizient, so dass uns die Chia-Samen wenig nützen.
Mehr zum Thema gibt es im Artikel Tierisch gut: Omega-3-Fettsäuren zu lesen.
Mineralien
Also gut, irgendwas muss doch dran sein, am Chia-Hype oder? Wie wäre es mit Mineralien?
Auf den ersten Blick trumpfen die Chia-Körner mit Kalzium, Kupfer, Eisen, Magnesium, Mangan und Zink auf und auch hier jubeln die Werbebotschaften, doch treue Paleosophie-Leser wissen mehr: Mineralien aus Samen, Körnern und anderen pflanzlichen Reproduktions-Kapseln kommen mit einer unschönen Verpackung, die Phytinsäure heißt.
Verräterisch ist nämlich auch der hohe Gehalt von Phosphor in Chia-Samen, das bedeutet nämlich, dass sie auch einen hohen Gehalt an Phytinsäure haben, die dazu dient, Mineralien zu speichern.
Dumm ist nur, dass der menschliche Körper nicht in der Lage ist, Phytinsäure aufzuschließen und die darin enthaltenen Mineralien zu verwerten. Dazu fehlt uns ein Enzym, das Phytase heißt und das z. B. Ratten herstellen können. Wer also keine Nagetiere im Stammbaum hat, wird bei Chia Mineralien-technisch nicht glücklich werden.
Vitamine?
„B-Vitamine!“, versprechen Werbe-Botschaften, doch auch hier macht uns die Natur der Pflanzen einen Strich durch die Rechnung: Vitamin B6, das dominante Chia-B-Vitamin kommt in der Pflanzenwelt am häufigsten als Pyridoxin-Glucosid vor, das aber für den Menschen schlechter verwertbar ist, als tierisches Vitamin B6. Also auch hier Fehlanzeige.
Es scheint fast so, als hätte die Chia-Welt sich gegen uns verschworen und das stimmt sogar. Schauen wir vorher noch schnell auf den einzigen Lichtblick der Chia-Samen an:
Ballaststoffe!
Davon haben Chia-Samen reichlich und natürlich stellen Chia-Marketing-Experten sicher, dass dieser Umstand gebührend gewürdigt wird.
Ballaststoffe sind wichtig, keine Frage, aber die gibt’s auch reichlich woanders: In Gemüse, Früchten sowie anderen pflanzlichen Produkten. Nicht unbedingt eine exklusive Spezialität von Chia.
Doch die Ballaststoffe in Chia-Samen halten noch eine Überraschung bereit:
Vorsicht, Schleim!
Der Grund, warum Chia-Samen in Rezepten beliebt sind ist nämlich der, dass sie mit Wasser ein Gel bilden, mit dem man prima Puddings machen kann. Bis zum 27-fachen ihres Eigengewichts in Wasser können Chia-Samen als Gel binden. Denn ein großer Teil ihrer Ballaststoffe kommen in Form von Polysacchariden, die für die Gelierung sorgen.
Leider hat das Gel auch Nachteile: Es ist unverdaulich (weil es aus Ballaststoffen besteht) und daher trägt das Gel auch dazu bei, dass die Proteine, Mineralien oder Vitamine, die der Mensch vielleicht noch aus den Samen hätte extrahieren können in diesem Gel quasi gefangen werden und schwerer vom Körper aufgenommen werden können.
Warum denkt sich die Chia-Pflanze sowas perfides aus? Naja, sie denkt halt praktisch: Die Samen sollen zwar gegessen, aber bitte nicht verdaut werden, damit sie nach dem Ausscheiden wachsen, gedeihen und neue Chia-Pflanzen bilden können. Davon hat aber der Mensch nichts.
Es gibt auch vereinzelt Hinweise darauf, dass das Chia-Gel Entzündungen begünstigt oder anderweitig ungünstig für den Darm ist. Ich selber hab das auch nachvollziehen können: Vor einiger Zeit habe ich ein paar mal Chia-Samen als Zugabe zu Waffelteig (aus Eiern und gemahlenen Mandeln) oder Pancake-Teig (Eier, Kastanien, Kokosmilch) ausprobiert und reproduzierbar nach dem Essen ein leichtes Ziehen im Bauch gespürt. Sicher keine repräsentative Studie, aber auch keine große Hilfe, um Fan von Chia zu werden. Der Rest meines Chia-Experiment-Kaufs wanderte gestern in den Müll.
Wer sich ungeschickt anstellt und Chia-Samen isst, ohne sie vorher quellen zu lassen, riskiert sogar einen Besuch in der Notaufnahme: Neulich kursierte eine Story über einen 39-jährigen Mann in den Medien, der einen Esslöffel Chia-Samen trocken aß und dann mit Wasser herunterspülte. Er hatte von Natur aus eine eher enge Speiseröhre und so bildete sich ein Pfropf, der nur mit ärztlicher Hilfe entfernt werden konnte.
Sicher nur ein Extremfall und leicht zu vermeiden (also: Immer schön Chia quellen lassen), aber auch kein Grund, Entwarnung oder gar eine Empfehlung auszusprechen.
Fazit: Bestenfalls Vogelfutter
Ich kann beim besten Willen keine Vorteile von Chia erkennen. Für mich sieht es eher so aus, als hätten sich die Mini-Samen gegen den Menschen verschworen: Schlecht verwertbares Omega-3, in Phytinsäure gefangene Mineralien und dann noch ein undurchlässiges Gel, das die Nährstoffaufnahme erschwert.
Da bleibe ich lieber bei Eiern, Mandeln und anderen Nüssen für meine Paleo-Ausnahme-Wochenend-Back-Aktionen (Tipp: Waffeln für das Wochenende – ohne Chia). Nüsse sind auch nicht perfekt (daher: Ausnahme), aber im Vergleich zu Chia eher harmlos.
Musik!
Zum Schluss was zum Aufbauen: Hier ein bisschen klassische Musik, passend zum Thema:
Von Constantin Gonzalez am 09.03.2017 in Allgemein.
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